Petronela Soltész

Petronela Soltész, Kunsthistorikerin
zur Ausstellung Re:connected / Spammuseum-Chatbook im Kunstforum Weil der Stadt, 26. April bis 17. Mai 2015

Das „Spammuseum-Chatbook“ der zwei Stuttgarter Künstlerinnen Beate Baumgärtner und Stefanie Reling entstand 2013 im Rahmen der „#Dialog/Trialog“-Ausstellung im Museum Biedermann in Donaueschingen. Die raumgreifende Installation, die hier in der Wendelinskapelle des Kunstforums Weil der Stadt präsentiert wird, versteht sich als Fortführung, als „re:connection“ zweier unterschiedlicher Kunstpositionen in einem gemeinsamen inhaltlichen Kontext. Im Vordergrund steht die Auseinandersetzung mit virtuellen Kommunikationskulturen, in welchen Codes, Zeichen, Symbole und Botschaften zum Ausdruck gebracht werden, die auf dem ersten Blick fremd und unsinnig erscheinen. Textcollagen, Plakate, Poster und Schriftbänder, sowie kleinformatige und überdimensionale Zeichnungen, überlagern sich an den Wänden – Leuchtkästen, (Wand-) Objekte und Skulpturen greifen in den Ausstellungsraum hinein. Diese scheinbar chaotische Unübersichtlichkeit spiegelt die virtuellen Quellen wider, aus denen sich Baumgärtner und Reling ihr Rohmaterial schöpfen und dieses zu Bild-Text- oder Objekt-Text-Collagen zusammenstellen.

Die in Balingen geborene Beate Baumgärtner studierte Kunst an der Freien Hochschule Metzingen bei den Professoren Christian Wulffen und Andreas Mayer-Brennenstuhl. Für die Arbeit „Chatbook“ schlüpft sie in die Rolle eines Voyeurs, der akribisch eine Plattform für Finanzspekulanten und Aktienhändler beobachtet. Der Chatroom hat 50 bis 60 Mitglieder, unter Ihnen adibaer, haifisch, fuzzi und wie diese – verborgen hinter einem Nickname – auch Baumgärtner. Ganze Ausschnitte werden von der Künstlerin herausgesucht, vermischt und verarbeitet. Einzelne Aussagen werden durch kreative Emoticons, Comics, und gar private Fotos der Mitglieder überspitzt. Die bunten Text-Bild-Collagen werden in dieser Ausstellungskonzeption so nah beieinander gerückt, dass sie einem Computerdisplay ähneln und Pop-Up-Konversationsfenstern gleichen. Durch ovalförmige Gucklöcher wird der Blick nur auf einen Ausschnitt einzelner Unterhaltungen ermöglicht. Ein Rollentausch findet statt, in dem der Außenstehende zum passiven Voyeur wird, der lediglich als Gast an dieser Gesprächskultur teilnehmen darf. Denn auf diese Finanzplattform werden keine Börsenkurven analysiert, sondern im Schutz der Anonymität Hemmungen abgebaut. Menschenseiten werden präsentiert, die die Vorgesetzten, Arbeitskollegen und vermutlich auch der engere Umkreis unbekannt bleiben. So beispielsweise der Teilnehmer „haifisch“, der ein Foto von sich beim Baden mit seiner Lieblingsquietschentchen zeigt und dabei den eigenen Nickname ins ad absurdum führt. Je später die Stunde, desto hemmungsloser werden die hochgeladenen Fotos: So auch „fuzzi“, der in einem hautengen, glänzenden Darth Vader-Kostüm posiert und u.a. den Hintern in die Kamera streckt. Oder „Durruti“ der sich in seinem Schlafzimmer zeigt, angezogen in einem aufgeblasenen Taucheranzug. Groteske Szenerien, die zur Bespaßung und zum schockieren der Mitglieder eingesetzt werden.

Baumgärtner verwendet die Plattform als eine Datenbank, sodass bewusst Wiederholungen von Motiven stattfinden, jedoch stets in neuen Text-Bild-Konstellationen gesetzt werden. In der Wiederholung bleibt die Künstlerin somit dem virtuellen Sprachcode gerecht, in dem Emoticons wiederholt eingesetzt werden, um Gefühle oder Sehnsüchte auszudrücken. Da die speziell auf dieser Plattform verwendeten Emoticons einen starken Symbolgehalt aufweisen, werden sie auf Plakaten auch autonom platziert. Die Verpixelung, die durch die Hochskalierung entsteht, wird von der Künstlerin nicht überarbeitet sondern bewusst um die Materialität dieser Symbole zu veranschaulichen, sichtbar gemacht. So ähnelt der biertrinkende Leprechaun durch seine ungeraden Konturen und die sieben hintereinander gereihten Schaumstoffplatten, der ihn zusammenhält einem realgewordenen Grafikfehler, der sich zu uns in dieser Wirklichkeit gesellt.

Die in Rüsselsheim geborene Stefanie Reling studierte Bildhauerei bei Henk Visch an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und absolvierte 1999 die Kunstakademie Düsseldorf als Meisterschülerin bei Fritz Schwegler. Seit 2007 beschäftigt sich die Künstlerin mit dem Thema „Spam“: Aus automatisch verschickten Junk- und Werbeemails filtert sie künstlerisch verwertbare Wortgebilde und Botschaften heraus. Die in englischer Originalsprache belassenen Sätze und Formulierungen werden mithilfe der Übersetzungsmaschine „google translate“ ins Deutsche übertragen und verlieren dabei ihrer Sinnhaftigkeit. Hiermit entstehen bildhafte, poetisch-philosophische Phrasen, die sich in dem Bereich zwischen verschlüsselten Bedeutungen und absoluter Sinnlosigkeit befinden. Seit 2008 pflegt sie in ihr Onlinearchiv „www.spammuseum.de“ mehrere solcher Phrasen, sodass ein breiter Fundus generiert werden konnte. Entsprechend ihrer Form enthalten die Sätze ein syntaktisches Gefüge, doch ein Sinnzusammenhang wird stets negiert. Programmatisch erscheint uns somit der Prosatext „Aber es ist nicht, was es erscheint“, den Reling als sogenannte Spamlesung 2008 im Württembergischem Kunstverein vortrug. Anders als sonst wird diese Geschichte nicht als fließende Rauminstallation oder als Spamcollage dargeboten, sondern via ein orangenes Telefon, das hier im Raum platziert und zum „lauschen“ bereitgestellt ist.

Typisch für die Spamerkundlerin sind die bunten Schriftbänder, die die Wände des Raumes für sich in Anspruch nehmen. Durch unterschiedliche Farbcodes lassen sie sich erkennen: Rote Streifen für englische Sätze, blaue für deutsche. Die Streifen ergänzen sich symbiotisch und werden zu einer Art Bildcollage. In Beziehung werden sie zu Alltagsobjekten und Kleinskulpturen aus Glas oder Kunststoff gesetzt, die in der absurd wirkenden Kombination die Sinnlosigkeit der Versendung von Spammail verstärkt ausdrückt. Den Absendern der E-Mail-Werbung mit meist exotischen Namen wie „Parm Presberg“ oder „Augustine Saunders“, werden mittels schnell aufgetragener, kleinformatiger, Filzstiftzeichnungen ein Gesicht verliehen. Diese Zeichnungen weiß die Künstlerin in das Überdimensionale, ja gar monumentale zu vergrößern, sodass diese, ähnlich wie die Sprachcollagen selbst, in die Sphäre des Surrealen rücken.

Reling ist keine Geschichtenerzählerin. Sie ist eine Bühnenbildnerin, die es schafft, ihre poetischen und kryptischen Wort-Bild-Collagen zu inszenieren. Dabei arbeitet sie mit dem vorgegebenen Raum, wenn sie die Skulptur des Patrons und Heiligen Wendelin in die Installation bewusst hineinbezieht. Der Kontrapost der Skulptur spiegelt sich im durchtrainierten Körper eines männlichen Models wider, das für eine Viagra-Werbung posiert. Reling thematisiert dabei den Glauben, der nicht nur in der religiösen, sondern auch in der profanen Sphäre signifikant ist – der Glaube an Gott wird dem Glauben an der eigenen Potenz gegenübergestellt.

Kennzeichnend für beide Künstlerinnen ist die Auseinandersetzung mit universalen Fragen, wie der Äußerung des Freiseins, der Begierde oder gar der Gewaltbereitschaft. Dies schaffen sie durch doppelbödige Zeichen und Codes, die mit Humor und Spaß an der Zusammenarbeit kombiniert werden. Welche Assoziationen die beiden Künstlerinnen durch das Arrangement disparater Symbolelemente herstellen mögen, bleibt für jeden Besucher selbst zum Erforschen frei.“

Stuttgart, den 26. April 2015